Machen wir
doch mal etwas anders…
Es ist wieder
Adventszeit, die Auslagen der Supermärkte quellen schon seit Anfang
Herbst über von dem vielen Weihnachtszeug. In der örtlichen
Shopping Mall werden die Weihnachtseinkäufe zum Spießrutenlauf
unter gnadenloser Beschallung von „Last Christmas“. Draußen ist
es jetzt empfindlich nasskalt geworden und die meisten von uns haben
sich in ihre warmen Behausungen verkrochen.
Seit Regen und
Nebel die Herrschaft in der Natur übernahmen und die Landschaft mit
ihrem grauen Schleier überzogen haben, ist auch Ruhe im Berliner
Stadtrandwald eingekehrt.
Abgesehen von
einem Hundebesitzer der mit „Wauwie“ Gassi gehen muss, einem
zukünftigen Ausdauersportler, der mit ungesunder dunkelroter
Gesichtsfarbe an mir vorbei schnauft und ein paar armen Kindern, die
man zu dieser Jahreszeit erbarmungslos zum Spielen in den Wald
getrieben hat, ist hier offensichtlich niemand mehr.
Hut ab vor den
kleinen Rackern, die fröhlich und ausgelassen durch den Regen toben,
denke ich mir und ziehe sogleich den Reißverschluss meiner Jacke
noch ein Stückchen höher. Ich versuche mich noch weiter in die
Tiefe meiner Jacke zu verkriechen, um dem fiesen Sprühregen doch
noch zu entgehen. Es hilft nichts...Sprühregen, schräg von vorn,
keine Chance! Verstohlen linse ich aus dem schmalen Spalt zwischen
Jackenkragen und Kapuze heraus und beobachte fasziniert, wie die
kleine Schar von wilden Kindern sich unter lautem Gejohle die
Böschung hinunter in einen kleinen Graben rollen lässt. An der
anderen Seite wird auf Händen und Füßen sofort wieder hoch
gekrabbelt und im Schleudergang geht es erneut den kleinen Hang
hinunter in den Matsch. Inzwischen sind alle mit einer dicken Schicht
aus nassem Laub und Sand paniert. Auf den Gesichtern spiegelt sich
die helle Freude.
Genau so muss
Kindheit aussehen, denke ich mir. Das ehemalige Pink, Rot oder Gelb
der Matschanzüge ist bereits dem erdigen Ton des Bodens gewichen.
Ein Gummistiefel bleibt an einer Wurzel hängen während seine
Besitzerin den Verlust erst gar nicht zu bemerken scheint. Erst als
mehrmals ein krächzender Ruf ertönt, gerät die Rutschpartie
langsam ins Stocken und einige Kinder rufen aufgeregt: der Rabenruf,
der Rabenruf…!
Dies scheint
ein vereinbartes Zeichen zu sein, denn plötzlich drehen alle die
Köpfe in Richtung eines Mannes, mit grünen Klamotten und Hut, der
gerade seinen Rucksack aufschnallt. „Leute, wir wollen doch noch
Zweige für den Julkranz sammeln...“ruft er und die „Rotte“
verlässt gemächlich ihre Suhle in Richtung des Nadelwäldchens.
Interessant, sage ich mir und trotte hinterher. Die wollen Zweige
für einen Julkranz sammeln, was soll das denn sein?
Nun, einen
Adventskranz kenne ich und das die Skandinavier zu Weihnachten „Jul“
sagen habe ich auch schon mal gehört. Aber das Wort Julkranz sagt
mir rein gar nichts. Da wir ja im Kommuni-kationszeitalter leben und
ich sozusagen eine ganze Bibliothek in meiner Hosentasche herum
trage, zücke ich mein Smartphone. Doch was ist das, ein einziger
lausiger Balken im Berliner Stadtrandwald. „Von wegen Weltstadt,
selbst im ehemaligen Tal der Ahnungslosen haben die mehr Netz“,
blubbere ich vor mich hin bis das Handy überhaupt keine Verbindung
mehr anzeigt.
Während ich
voller Groll auf meine selbstgewählte Sklavenfessel starre und durch
den verregneten Novemberwald stapfe, werde ich aus meinen Gedanken
gerissen, indem ich über einen kleinen mitten auf dem Waldweg
liegenden Rucksack stolpere. Schon kichert es zwischen den Bäumen
links neben mir und aus dem Dickicht kommen immer mehr, mit grünen
Zweigen beladene, kleine Menschen zum Vorschein. „Oh, Tannengrün
für eure Adventsgestecke“, mutmaße ich und setze die wissende
Erwachsenmiene auf. Wieder großes Gelächter, „Nee, dit is für
unsern Julkranz inne Kita und aussadem sind dit Fichtenzweige, sieht
doch jeder“, werde ich aufgeklärt. „Fichte sticht, Tanne nicht!“
ruft mir ein kleines Mädchen mit schief sitzender, eingesandeter
Schalmütze zu, in dessen Gesicht die Rutschpartie von vorhin ihre
Spuren hinterlassen hat.
Ein bisschen
belämmert stehe ich nun da, belehrt von einem höchstens
fünfjährigen Waldwichtel! Es knackt und der große Waldwicht kommt
aus dem „Fichtenwäldchen“, wie ich nun weiß. Da mein
neuzeitliches Bildungsgerät versagt hat und ich bereits von kleinen
frechen Waldgeistern belehrt wurde, werfe ich meinen restlichen Stolz
über Bord und frage hemmungslos drauf los, was das mit dem
Juldingsbums auf sich hat und was sie denn hier so treiben.
Wie sich
herausstellt, ist der ganz in olivgrün gehüllte Rabenmensch
Wildnispädagoge und der Erzieher der Bande. Er erklärt mir auf
meine Frage hin, dass der Rabenruf dazu diene, die Kinder
zusammenzurufen. Klar könne man das auch mit gewöhnlichem lauten
Rufen tun, aber dann wäre er am Ende des Monats heiser und die bei
den Kindern so heißgeliebten Tierbegegnungen würden auch völlig
ausbleiben, erklärt er mir. Die rabenähnlichen Rufe scheinen also
eine Art Ruftarnung zu sein, um nicht den ganzen Wald verrückt zu
machen. Nicht schlecht!
„Was wollt
ihr denn mit den Fichtenzweigen?“, will ich wissen und ein
Fünfjähriger mit roter Zwergenmütze aus gewalkter Wolle, erklärt
mir die ganze Sache dann so: „Mit den Fichtenzweigen basteln wir
inne Kita einen Julkranz, so wie bei die „Gemanen“ früher und
dann stecken wir vier Kerzen rein und zünden die imma zum Vespern
an. Aber erst alle vier und dann immer eine weniger...wegen dem
Licht.“
Ok,
also doch ein Adventskranz denke ich, aber was hat das mit den
Germanen zu tun und wieso erst alle
Kerzen anzünden? So richtig leuchtete mir die ganze Geschichte noch
nicht ein, also fragte ich noch einmal nach.
Antwort vom
kleinen Mützenmann: „...na die Sonne, hat jetzt nicht mehr so viel
Kraft und deswegen geht sie jetzt immer früher schlafen. Sie muss
sich ausruhen, damit sie im Frühjahr wieder länger scheinen kann
und die Pflanzen wieder wachsen können...“
Meine Skepsis
schien mir wohl ins Gesicht geschrieben zu sein, denn die kleinen
Waldwichte trollten sich jetzt wieder und ließen mich ungläubigen
Erwachsenen einfach im Nieselregen stehen. „Im Prinzip haben dir
die Kinder den Kern der Sache ja schon richtig erklärt“, sagt der
Rabenmann zu mir.
„Unser
Adventskranz ist dem heidnischen Julrad/ Jahresrad, das den
Jahreskreis symbolisiert, entlehnt. Viele indigene Völker und auch
unsere Ahnen haben die Natur in der sie lebten genau studiert und
festgestellt, dass das Leben in Kreisläufen zu funktionieren
scheint. Das Rad ist ein altes Kreissymbol und in vielen Teilen der
Welt zu finden. Es verkörpert z.B. den Jahreskreis mit dem
immerwährenden Wechsel der vier Jahreszeiten. Dem Winter folgt der
Frühling, dem Frühling der Sommer, dem Sommer der Herbst und dem
Herbst wieder der Winter. Wenn du dich hier draußen in der Natur
umschaust, und zeigt in die Runde, wirst du sogar feststellen, dass
es gar kein richtiges Ende gibt! Es ist ein immerwährendes Vergehen
und Neuentstehen!
Wir benutzen
z.B. die Fichte für das Binden des Julrades, weil sie eine
„immergrüne“ Pflanze ist. Sie erinnert uns auch außerhalb der
Vegetationszeit an das grün des Frühjahres, das Wachstum der
Pflanzen, welches für das Leben steht. Meistens schmücken wir
unseren Julkranz noch mit den roten oder orangen Beerenfrüchten der
Eberesche oder des Feuerdorns. Wie beim Adventskranz kommen auf den
Julkranz auch vier Kerzen. Sie symbolisieren die vier Jahreszeiten
und das Licht der Sonne.
Das Licht
spielte für viele indigen Kulturen, wie auch für unsere Vorfahren,
eine große Rolle, waren sie doch auf die Sonne und ihre wärmenden
Strahlen auf Grund der klimatischen Gegebenheiten besonders
angewiesen. Wenn die Tage nun kürzer werden, die warmen
Sonnenstrahlen sich immer öfter hinter den Nebelschleiern verstecken
oder ganz ausbleiben, ist das für dich wenn du draußen lebst eine
gravierende Veränderung“, meint der Rabe.
„Als
Zeichen, dass das Licht in den Tagen vor der Wintersonnenwende immer
mehr schwindet, löschen wir mit den Kindern montags (angelehnt an
die Adventssonntage) immer eine Kerze mehr. Gerade heutzutage, wo wir
immer und überall von elektrischem Licht, Heizungswärme usw.
umgeben sind, vergessen wir oft, was draußen in der Natur jedes Jahr
um uns herum passiert. Das Leben in der Natur vollzieht sich immer
noch in den gleichen alten Kreisen. Das Jahr wandelt sich, das Licht
kommt und geht. Und so hat jede von diesen (Jahres)Zeiten
logischerweise auch ihre Qualitäten. Die Qualität des Spätherbstes,
wo das Licht immer mehr abnimmt, ist z.B. Resümee ziehen, zur Ruhe
kommen und Innenschau halten. Er ist wie eine Zwischenzeit, in der
das Leben kurz inne hält, um Kräfte zu sammeln für das Neue(Jahr).
Im Zenit der Dunkelheit zur Wintersonnenwende, wird tief unten im
Schoß von Mutter Erde, für uns vielleicht noch nicht sichtbar, das
Neue geboren. Das Samenkorn, welches in der schützenden Erde ruht,
bekommt mit dem wiedergeborenen Licht einen Wachstumsimpuls. Nun
beginnt es zu keimen und sich langsam nach oben zu schieben bis es
die Erdoberfläche durchbricht. Es streckt sich dem Licht entgegen,
um zu wachsen, zu erblühen, zu reifen, Samen auszubilden und zu
verteilen, um dann wieder abzusterben oder sich wieder unter die Erde
zurückzuziehen.
Am 21.
Dezember zur Wintersonnenwende, machen wir wieder alle vier Kerzen
an. Zur Feier der Ankunft des neuen Lichtes und dass die Tage jetzt
wieder länger werden, machen wir mit den Kindern ein
Wintersonnenwende Feuer, in dem wir das alte Jahr verabschieden. Wir
geben alles Alte, symbolisiert durch unseren Julkranz, ins Feuer. Wir
lassen das Alte los und machen Platz für das Neue! So gehen wir neu
und absichtsvoll in die Weihnachtsfeiertage und die Raunächte. Aber
die sind noch ein anderes Thema“.
„Wow“,
sage ich. „Das war jetzt aber ganz schön viel. Das muss ich erst
einmal verdauen“ und reibe mir mit meinen Händen das Gesicht. „Oh
ja...Verdauen, das ist ein gutes Stichwort“, spricht der Rabe. „Wir
müssen zurück in die Kita. Es gibt bald Mittagessen“ und „rabt“
wieder alle Kinder zusammen. „Also Tschüss und mach`s gut, komm
gut durch die dunklen Tage“, sagt er und drückt mir noch ein paar
Fichtenzweige in die Hand! „Tschüss
und danke...für alles“, sage ich und stehe noch ein paar Minuten
wie angewurzelt da. Dann gehe ich nach Hause, koche mir einen schönen warmen Tee und labe mich am Weihnachts-gebäck. Am Nachmittag hole ich mir Draht, eine Zange und eine Gartenschere aus dem Keller, nehme die Fichtenzweige aus der Vase und fange an zu basteln... Dieses Jahr mache ich das mal anders!
www.wildnisschule-berlin.de